08 | 2017 Fokus

Nachhaltigkeit: Rendite-Viereck im Kriterien-Dschungel

 

Venezuela – ein Pulverfass. Der Bürgerkrieg und die humanitäre Krise haben Banker in der Schweiz aufgerüttelt: Die Credit Suisse untersagt ihren Mitarbeitern den Handel mit venezolanischen Bonds. Man wolle keine Geschäfte unterstützen, die es dem Land erlauben würden, die Rechte des venezolanischen Volkes weiter mit Füßen zu treten, heißt es zur Begründung. Ein ungewöhnlicher Fall von Nachhaltigem Investment.

Nachhaltigkeit – das ist mittlerweile mehr als Windparkbeteiligungen, Aktien von Solarmodulherstellern oder Investmentfonds von Öko-Pionieren der ersten Stunde. Was mit Umweltschutz begann, hat an weiteren Kriterien dazu gewonnen: Nachhaltig ist auch, was ethisch und sozial wünschenswert ist. Von „grünem Geld“ zu sprechen, greift mittlerweile zu kurz.

Klimaschutz nicht ohne die Finanzwirtschaft

2016 hat sich die Weltgemeinschaft in New York gemeinsame Nachhaltigkeitsziele bis zum Jahr 2030 gegeben, um Armut und Klimawandel zu stoppen. Die Finanzwelt ist unverzichtbar, um diese Ziele zu erreichen: Um sie mit zu finanzieren, natürlich. Und, indem sie selbst Verantwortung übernimmt für die unmittelbaren Auswirkungen ihrer globalen Investments. Um dies zu gewährleisten, haben bereits in den Jahren zuvor Banken und andere Global Player der Finanzwirtschaft wie Bloomberg, Thomson Reuters, MSCI oder Standard & Poor’s ihre Kenntnisse und Kapazitäten in Sachen nachhaltiges Wirtschaften ausgebaut.

Nachhaltigkeit ist kein Altruismus

Der Verzicht von Credit Suisse, mit Venezuela-Anleihen zu handeln, ist vor diesem Hintergrund nicht als rein altruistische Maßnahme zu sehen. Sondern auch, weil Think-Tanks, Rating-Agenturen und die Börsen das Verhalten der Marktteilnehmer scannen, bewerten und gegebenenfalls abstrafen: Goldman Sachs bekam im Mai spürbaren Gegenwind, als man mit venezolanischen „Hunger Bonds“, wie die Opposition sie nennt, der Regierung Maduro zu frischem Geld verhalf.

Längst ist unternehmerisches Wohlverhalten genauso wie eine saubere Produktion (deren Dokumentation ist übrigens für deutsche Unternehmen mit mehr als 500 Mitarbeitern seit diesem Jahr obligatorisch) Teil der Kennziffern, die Anleger beziehungsweise Asset Manager systematisch bei Analyse des Investment mit einbeziehen: International bekannt als ESG-Integration, wobei ESG für Environment (Umwelt), Social (Sozial) und Governance (unternehmerisches Wohlverhalten) steht.

Institutionelle Investoren fordern nachhaltiges Verhalten

Der Markt der nachhaltigen Geldanlage wird von Investoren dominiert, die einen langen Atem haben: Es sind in erster Linie Institutionelle, die wenig Interesse am schnellen Euro oder Dollar haben – egal, wie schmutzig er ist. 90 % des Marktvolumens nachhaltiger Kapitalanlagen, so das Forum Nachhaltige Geldanlagen in ihrem aktuellen Marktbericht, stammen in Deutschland von Pensionsfonds, Versicherungen, Kirchen, Stiftungen oder auch der Öffentlichen Hand. Andersherum: 64 % der institutionellen Investoren berücksichtigen Nachhaltigkeitskriterien bei ihren Anlageentscheidungen; vor fünf Jahren waren es noch 48 %, wie Union Investment herausfand.

Wie aber nachhaltig investieren? Die Investmentmöglichkeiten sind auch für Insider kaum mehr zu überschauen – allein über 400 Investmentfonds in Deutschland, dazu ETFs, alternative Anlagen und Spezialfonds, jeder mit einem eigenen Investmentschwerpunkt.

Was genau ist nachhaltig?

Grundsätzlich unterscheiden sich Nachhaltige Investments hinsichtlich ihrer Anlageausrichtung:

  • ESG-Integration: Beachtung von Umwelt-, Sozial- und Governance-Aspekten, die für den wirtschaftlichen Erfolg von konventionellen Unternehmen und Anlagen wichtig sind
  • Ausschlüsse von Branchen (zum Beispiel: Waffen, Glücksspiel, Tabak usw.) oder ethischen Kriterien (zum Beispiel: Menschenrechtsverletzungen, Korruption, Umweltzerstörung usw.)
  • Engagement, also der direkte Dialog zwischen Anlegern / Asset Managern mit den Unternehmen in Bezug auf Klimaschutz, Unternehmensethik, Menschenrechte usw.
  • Normbasiertes Screening, also Ausschlusskriterien entsprechend eines definierten Kataloges, wie der Global Impact der UN oder die ILO-Kernarbeitsnormen für menschenwürdige Arbeitsbedingungen
  • Best-in-Class-Ansatz: Wettbewerb um die nachhaltigste Unternehmensführung innerhalb einer Branche
  • Themenfonds (zum Beispiel: Erneuerbare Energien, Energieeffizienz usw.)

Der aktuellen Marktstudie vom Forum Nachhaltige Geldanlagen e. V. zufolge haben 2016 die Ansätze ESG-Integration und Engagement gegenüber der Best-in-Class- und Branchen-Auswahl zugelegt und dominieren das Anlageuniversum. Dies rührt vermutlich daher, dass mit diesen breiteren Strategien das Portfolio nicht von vornherein einschränkt wird, was sich positiv auf das Rendite-Risiko-Profil auswirken sollte.

Risikomanagement als Motiv

Dem Pariser Nachhaltigkeitsexperten Novethic zufolge kombinieren mehr als die Hälfte der Großanleger verschiedene nachhaltige Anlagestrategien: Auswahl von Emittenten auf Basis von ESG-Kriterien, Ausschluss von Titeln oder ganzen Branchen aus Risikogründen oder ethischen Aspekten. So können Druck auf die Unternehmen erzeugt und Veränderungen erreicht werden. Das Management von Risiken werde immer mehr zur entscheidenden Motivation, ESG-Aspekte zu beachten, so die Studie. Bereits ein Drittel der Befragten meint, ESG habe eine potenzielle „materielle“ Bedeutung für sie. Gerade der Klimawandel sei 2017 stärker als Investmentrisiko ins Bewusstsein gerückt, bemerkt ergänzend die Studie von Union Investment.

Nachhaltige Kapitalanlagen werden weiter zunehmen

So gesehen wirkt sich eine nachhaltige Kapitalanlage durch die Vermeidung von Risiken gerade in Zeiten des Zinstiefs positiv auf die Rendite aus. Das klassische Renditedreieck wird um Nachhaltigkeit ergänzt zu einem Viereck. Ein Zurück hinter den Status Quo wird es nicht geben. Die vom Forum Nachhaltige Geldanlagen befragten institutionellen Investoren gaben in der Mehrzahl an, ein Marktwachstum von 15 – 30 % zu erwarten: Getrieben von der weiteren Nachfrage der Institutionellen, wegen gesetzlicher Rahmenbedingungen (so sieht zum Beispiel die EU-RICHTLINIE 2016/2341 vom 14. Dezember 2016 über die Tätigkeiten und die Beaufsichtigung von Einrichtungen der betrieblichen Altersversorgung (EbAV) ausdrücklich die Berücksichtigung von ESG-Faktoren vor) und der Pflicht zur Wahrung treuhänderischer Pflichten. Im Klartext: Wer nicht nachhaltig investiert, verletzt seine Pflichten gegenüber dem Anleger!

Mit der Entscheidung der Credit Suisse, einstweilig auf das Venezuela-Geschäft zu verzichten, übernimmt die Bank Verantwortung für die Menschen in Venezuela – und für ihre Investoren.

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