05 | 2018 Fokus

Behavioral Finance: Menschen, Börse, Emotionen…

Foto: © elnariz - Fotolia

Manchmal scheint der gesunde Menschenverstand klüger als die Wissenschaft. Die Annahme der klassischen Wirtschaftstheorie vom Kapitalanleger als „Homo oeconomicus“ muss schon Erstsemestern als Hirngespinst vorkommen – ganz zu schweigen von der für viele Theorien notwendigen Annahme vollkommener Information. Wie kann man sinnvollerweise von einem völlig rational handelnden Wesen ausgehen, das in der Lage sein soll, wenigstens alle verfügbaren Informationen in seine Entscheidungsprozesse einfließen zu lassen? Und dabei alle Impulse, Prägungen und Emotionen beiseitezulassen?

Es liegt auf der Hand, dass Menschen so nicht funktionieren, da sie eben nicht „funktionieren“. Ihre Entscheidungen unterliegen selbst dann, wenn sie glauben, rational zu handeln, unbewussten Motiven und psychologischen Fallstricken. Anders wären Entscheidungen bei unvollkommener Information gar nicht möglich.

Diese unbewussten Faktoren aufzudecken, war der Erfolg der Behavioral Finance oder Verhaltensökonomik, einem Teilgebiet der Wirtschaftswissenschaften, welche Aspekte der Psychologie und Sozialwissenschaften integriert. Ihr Ziel ist es, vermeintliches oder tatsächliches irrationales Verhalten an den Finanzmärkten und bei der Kapitalanlage zu erklären. Ob es das wiederum tatsächlich gibt, darüber geht die Meinung unter Anhängern und Kritikern der Forschungsrichtung auseinander.

Dass es sich dabei immerhin nicht um eine obskure Spielart des Wissenschaftsbetriebes handelt, zeigt sich darin, dass der Wirtschaftsnobelpreis 2017 an den Verhaltensökonomen Richard H. Thaler ging.

Welche Effekte verhindern nun, dass rationale Anlageentscheidungen getroffen werden? Ein kurzer (und unvollständiger) Überblick:

Selektive Wahrnehmung – ein Klassiker, der nicht weiter erklärt werden muss und dennoch in Zeiten von Fake News und dem Dröhnen der sozialen Netzwerke neue Brisanz erhält: Ich höre nur, was ich hören will und mir meine eigene Meinung bestätigt.

Selbstüberschätzung – wer seine Erfolgsaussichten realistisch einschätzt, fängt komplexe Unternehmungen gar nicht erst an. Selbstüberschätzung ist also zutiefst menschlich und nicht per se schlecht. Je komplexer jedoch die Aufgabe und je länger der Zeithorizont, desto besser werden wir in unseren Augen. Und deshalb schätzen sich 80 % der Deutschen als überdurchschnittlich gute Autofahrer ein.

Risikoaversion – oder die Neigung, Verluste zu vermeiden, ist ebenfalls zutiefst menschlich. Für die Kapitalanlage ist es gleichwohl aber eine zweischneidige Eigenschaft. Die Risikoscheu führt beispielsweise zu Investments in niedrig verzinste Tagesgelder, um das Risiko der Wertschwankungen zu vermeiden. Und zu einem zu langen Festhalten an Verlusten.

Zeitinkonsistente Diskontierung – bedeutet „Lieber den Spatz in der Hand, als die Taube auf dem Dach“ oder auch lieber heute zu konsumieren, als für morgen zu sparen. Gekoppelt mit der Risikoaversion eine sehr gefährliche Voraussetzung für eine sinnvolle Altersvorsorge.

Recency – Daten der jüngsten Vergangenheit als Basis für Prognosen künftiger Entwicklungen zu nehmen, ist riskant. Es verkürzt den Blick, da diese Daten in der Regel weniger aussagekräftig sind als lange historische Zeitreihen. Geht gern Hand in Hand mit dem

Herdentrieb – auch Trendfolge, also das tun, was alle tun. Das kann doch nicht falsch sein? Natürlich kann es das, wenn es bedeutet, zu spät einzusteigen und als Gruppe irrationale Effekte zu verstärken. Eng damit verbunden ist die Selbstüberschätzung und

Regret – die Furcht, zu bereuen. Was wäre, wenn ich diese eine Chance verpasse, bei diesem Trend nicht dabei bin und es später bereue, nicht investiert zu haben? Auch andersherum meiden Anleger Entscheidungen aus Angst, die getroffene Entscheidung eines Tages zu bedauern.

Übertreibung – gute oder schlechte Nachrichten werden verstärkt, weil Anleger übertrieben stark darauf reagieren, ohne dass die fundamentalen Daten dies rechtfertigen würden: Dies gilt für stark emotionalisierende Ereignisse wie den 11. September genauso wie für Naturkatastrophen oder große Unfälle, die für sich allein genommen keine derart starken Kursausschläge rechtfertigten.

Home Bias – die Neigung von Anlegern, überproportional in Anlagen des Heimatmarkes zu investieren. Ein Verhalten, das logisch nicht gerechtfertigt ist. Nicht einmal Währungsschwankungen können die Vorteile einer internationalen Diversifizierung des Portfolios komplett negieren.

Diese allzu menschlichen Verhaltensweisen haben die Verhaltensökonomen aufgedeckt und versucht, damit bis dato unerklärliche Verhaltensmuster an den vermeintlich effizienten Märkten zu erklären. Um es noch einmal zu betonen: Dies ist kein Verhalten, dass lediglich Menschen an den Tag legen, die unreflektiert oder relativ ungebildet sind. Es handelt sich nach Meinung der Forscher um psychologisch begründete Verhaltensweisen, die sich dem unmittelbaren bewussten Zugriff des Anlegers entziehen.

Kritiker sind hingegen der Meinung, dass dieses Verhalten sicherlich bei einzelnen Menschen vorkomme, es aber keineswegs die Märkte beeinflussen könne. Damit blieben jedoch Marktanomalien weiterhin ungeklärt. Zudem beruht Behavioral Finance ebenfalls auf der Sozialpsychologie, so dass man mit Themenfeldern wie Gruppenhysterie und Herdenverhalten bereits viel erklären könnte.

Kann man sich nun irgendwie gegen diese Prozesse schützen, um doch zu einer rationalen Investmententscheidung zu gelangen? Wohl kaum.

Die wenigsten Menschen dürften in der Lage sein, diesen psychologischen Fallen zu entkommen, indem sie diese als solche erkennen und zu bekämpfen in der Lage sind. Denn eines ist sicher: Jeder Mensch hat persönliche Präferenzen, entlang derer er Mittel und Wege wählt, um sein Ziel zu erreichen. Und er wird immer individuell auf neue Begebenheiten reagieren. Das ist menschlich.

Stattdessen wird empfohlen, das eigene Verhalten durch selbst definierte Verhaltensregeln zu disziplinieren: Etwa nie dort zu investieren, wo alle hinstreben, oder auch, klare Verkaufslinien zu definieren und nie spontan zu reagieren. Investitionen sollten einem klaren Anlageplan unterworfen werden, um sich den (subjektiven) Zielen klarer zu werden und in der Folge Anlageformen zu wählen, die nicht dazu zwingen, permanent Anlageentscheidungen zu treffen, sondern die im festgesetzten Rahmen klaren Vorgaben folgen. Ganz im Sinne des Begründers der Value-Strategie, Benjamin Graham:  “The investor’s chief problem – and even his worst enemy – is likely to be himself”.

Zu Deutsch: Das größte Problem des Investors, und somit sein schlimmster Feind, ist er selbst.

NEWSLETTER-ABO

Die wichtigsten Neuigkeiten aus der Finanzbranche fassen wir Ihnen regelmäßig in einem persönlichen Newsletter zusammen.

Newsletter abonnieren

DIALOG

Als Mitglied der PATIO Lounge teilen Sie Ihr Wissen und Ihre Sicht auf die Finanzwelt mit anderen. Wir freuen uns auf den Dialog.

Artikel einsenden

EMPFEHLEN SIE UNS

Ihnen gefällt die PATIO Lounge?
Dann empfehlen Sie uns weiter.