07 | 2019 Fokus

Die Silver Ager rocken

DisobeyArt – stock.adobe.com

„[…] Und sehen mich die Leute entrüstet an und streng –
Dann sag‘ ich meine Lieben, ihr seht das viel zu eng –
Mit sechsundsechzig Jahren, da fängt das Leben an […]“

Udo Jürgens gehörte damals selbst zwar einer anderen Generation an, durfte aber dennoch darauf vertrauen, dass so ein Verhalten für ungebührlich oder unwürdig erachtet wurde. Lange vor der Zeit traf er das Lebensgefühl der Menschen, die heute zwischen 55 und 75 Jahre alt sind. Sie werden Baby Boomer genannt, Best Ager, Silver Ager oder Generation 50plus.

Chance und Risiko der Langlebigkeit

Anders als die Generationen vor ihnen stehen sie in diesem Alter keineswegs am Ende ihres Lebens: Wer heute in Rente geht, lebt im Durchschnitt noch – ganz grob – etwa 20 Jahre. Die Lebenserwartung ist in den letzten 100 Jahren um über 30 Jahre gestiegen. Geschuldet ist dies besserer medizinischer Versorgung, besserer Ernährungsversorgung und besserer Bildung – eine Entwicklung, die weltweit zu beobachten ist.

Dies hat Folgen:

  • Die Generation 50plus verfügt über die größte Kaufkraft aller Altersschichten: Weltweit über 15 Bio. US-Dollar.
  • Die Zahl der über 80-Jährigen wird in den nächsten 40 Jahren um mehr als 250 % steigen.
  • 2047 wird erstmals die Zahl der Menschen über 65 Jahren die der Kinder unter 5 Jahren übersteigen.

Die alternde Gesellschaft ist einer der großen globalen Trends. Und er betrifft nicht nur die alternden Menschen, sondern alle Menschen in allen entwickelten Ländern und Schwellenländern (Indien ausgenommen). Denn in all diesen Ländern werden die Menschen nicht nur älter, es sinken auch die Geburtenraten: In 41 % der Länder liegen laut UN die Geburtenraten unter der Reproduktionsrate. In den 1950er Jahren bekam jede Frau im Schnitt noch 5 Kinder, heute sind es 2,5 und im Jahr 2050 voraussichtlich zwischen 1,8 und 2,2 Kinder pro Frau im weltweiten Durchschnitt. Ein weiterer, essentieller Faktor für die stark alternde Gesellschaft.

Der Veränderungsprozess, der mit der alternden Bevölkerung einhergeht, ist neben dem Klimawandel vielleicht die stärkste soziale und ökonomische Kraft. Und damit natürlich ein sehr interessantes und langlebiges Investmentthema.

Wohlstand

Die gut situierten Best Ager stehen ihrer eigenen Wahrnehmung nach mitten im Leben. Sie haben die körperliche und geistige Gesundheit, die Freiräume und die Möglichkeiten, das zu tun, wovon Udo Jürgens singt – beziehungsweise, wonach ihnen der Sinn steht. Sie sind länger fit, unternehmenslustig, konsumfreudig und Lifestyle-orientiert: So geben Frauen, wenn sie die 60 überschritten haben, doppelt so viel Geld für Kosmetik aus, wie Frauen unter 25 Jahren. Und rund 29 % aller Touristen in der EU werden 2030 über 60 Jahre alt sein. Deutsche Rentner geben im Schnitt pro Kopf und Reise 970 Euro aus.

Insgesamt, so fand eine Studie des Max-Planck-Institutes heraus, haben sich die Konsumausgaben der über 60-Jährigen in Deutschland zwischen 1993 und 2013 fast verdoppelt und machen jetzt rund ein Drittel aller Konsumausgaben aus.

Darauf reagieren die Märkte: Mit Werbemodels beziehungsweise Testimonials jenseits der 60 oder speziellen Angeboten für Senioren auf Reisen, wie deutschsprachigen Ärzten oder Shuttleservices. Profiteure des Trends sind Anbieter von Kreuzfahrtreisen, Wohnmobilhersteller und die Luftfahrtunternehmen.

Investmentchancen …

Aber die Silver Economy beschränkt sich nicht nur auf Konsum. Anleger, die darauf bauen, dass die Ausgaben einer alternden Gesellschaft als langfristige Kapitalanlage lohnen, denken noch weiter.

Da sind die Bereiche Vorsorge, Versicherungen und Vermögensberatung, sowie das naheliegende Segment der Seniorenheime oder -stifte. Und da ist natürlich der Gesundheitsmarkt. Älter werden ist vor allem deshalb nichts für Feiglinge, weil es teuer ist. Altersbedingte chronische Krankheiten, wie beispielsweise Herzkreislauferkrankungen, Diabetes und Demenz, werden in den kommenden Jahren die globale Gesundheitsbranche pushen.

In Sachen Gesundheit und Pharma ist aber noch weiter zu denken: Neben die bekannten Hilfen wie Hörgeräte, Zahnimplantate oder künstliche Kniegelenke treten neue Trends aus dem Bereich Digital Health, in denen alle großen Tech-Unternehmen forschen. Besonders spannend ist dabei das Thema AAL (Ambient Assisted Living), also einer digitalen Assistenzlösung in Verbindung mit Smart-Home-Systemen. Es passt hervorragend zum Wunsch der meisten Menschen über 50, im Alter zu Hause wohnen bleiben zu können. Neben Investitionen in die eigene Immobilie für mehr Barrierefreiheit sind dies interessante Investments in die eigene Zukunft: Der demografische Wandel fördert digitale Innovationen für den Gesundheitsmarkt.

Wer als Anleger in die demographische Entwicklung und die Transformationsprozesse einer alternden Gesellschaft investieren will, dem bietet sich eine große Bandbreite an Sektoren. Mittlerweile versuchen verschiedene Fonds und ETFs, die veränderten Bedürfnisse einer alternden Gesellschaft widerzuspiegeln. Jedoch muss Anlegern klar sein, dass es nur einzelne Branchen gibt, die tatsächlich ausschließlich die Best Ager im Fokus haben. Viele Unternehmen bedienen diese Zielgruppe auch, aber meist nicht einmal schwerpunktmäßig. Es gilt also, die Zusammensetzung genau zu analysieren.

… und Risiken

Allerdings hat der demografische Trend auch seine Schattenseiten – und dabei sind noch nicht einmal die negativen Auswirkungen des altersbedingten Reisefiebers auf die Umwelt berücksichtigt.

Besonders relevant wird vor allem der demografisch bedingte Fachkräftemangel werden. Das statistische Bundesamt prognostiziert, dass die Bevölkerung im Erwerbsalter bis 2035 voraussichtlich um 4 bis 6 Mio. sinken wird. Auch dort, wo die vielen zusätzlichen Rentner auf Infrastruktur, Dienstleistungen, Ärzte und Pflege angewiesen sind, wird es zunehmend schwer, diese Bedürfnisse zu erfüllen. Perspektivisch ergeben sich auch hier Chancen für die Entwicklung neuer Techniken, sei es durch medizinische Telemetrie oder Pflegeroboter. Doch letztere zahlen nicht in die Sozialsysteme ein.

Für die USA geht man davon aus, dass sich die Lohnausfälle infolge unbezahlter Pflege durch Familienangehörige bis 2050 auf 147 Mrd. US-Dollar verdoppeln werden – fehlende Löhne, die sich auf Steuern, Sozialsysteme und Konsum auswirken werden. Für die anderen entwickelten Länder darf man wohl ebenfalls schon aufgrund der steigenden Zahlen der in Rente gehenden Menschen von vergleichbaren Effekten ausgehen, auch wenn Pflege- und Sozialsysteme unterschiedlich ausgestaltet sind.

Die kommenden Generationen, die deutlich kleiner sind, werden es schwer haben, die Renten der Babyboomer zu finanzieren. Zugleich ist nicht allen aktiven und konsumfreudigen Rentnern klar, dass ihr Vermögen noch für Jahrzehnte reichen muss. Vor allem dann nicht, wenn die staatlichen Rentensysteme in Frage stehen und das Rentenniveau weiter sinken wird.

Dabei erwartet fast jeder zweite Silver Ager in den kommenden Jahren die Auszahlung einer Lebensversicherung. Immerhin können sich zwei Drittel davon vorstellen, die Gelder zumindest teilweise wieder zu reinvestieren. Doch auch diese Generation, die noch viele Jahre investieren könnte, setzt nur zu einem verschwindend geringen Anteil auf aktienbasierte Investments und bevorzugt vorrangig niedrig verzinste Festgelder.

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